Von Schafen, Wölfen und widerspenstigen Flaggen

Drei Monate WWOOFen in Norwegen

Selfie mit Lieblingsschaf "Lillevenn"

Am 5. Mai 2023 war es endlich so weit – nach einem halben Jahr Planung und gut einer Woche Kofferpacken starteten mein Freund und ich (Franziska) in unsere lang ersehnte Reise nach Norwegen. Wir hatten beide während des Studiums Norwegisch gelernt und wollten jetzt unsere Sprachkenntnisse auf die Probe stellen. Ein Auslandssemester an einer Uni in Norwegen kam für mich nicht infrage, denn mein Studiengang bot dort keine Plätze an. Also hatten wir beschlossen, unsere Reise selbst zu organisieren.

Schnell war auch klar, dass es eine Work-and-travel-Reise werden sollte. Ein kurzer Urlaub reicht nicht aus, um Land und Leute richtig kennenzulernen, fanden wir. Außerdem wollte ich unbedingt meine Lieblingspferderasse, das norwegische Fjordpferd, in ihrer Heimat erleben. Mein Freund war mit dem Plan einverstanden, also meldeten wir uns auf zwei Work-and-travel-Seiten an und schrieben fleißig Nachrichten an geeignete Bauernhöfe. Kurz vor Weihnachten bekamen wir dann endlich eine Zusage über die Website WWOOF Norway: Marie und Nils, ein Ehepaar mit Kindern, das auf dem Hof Natten Gård in der Nähe des Tunhovdfjords Schafe züchtete, konnte unsere Unterstützung im Sommer gut gebrauchen. Wir entschieden uns dafür, zehn Wochen auf dem Hof zu verbringen und nahmen uns für die An- und Abreise per Auto jeweils etwa zwei Wochen Zeit.

Übrigens: Deutsche benötigen erst einmal kein Visum, um in Norwegen zu arbeiten. Wenn man länger als 90 Tage dort verbringt, muss man sich aber bei der Polizei melden.

Ankunft auf Natten Gård

Als wir Mitte Mai in Oslo ankamen, war es dort gerade so richtig Sommer geworden – die Sonne schien, die Temperaturen waren höher als überall sonst in Europa und die Radiomoderatoren forderten die Menschen auf, ihre Sommerkleider auszupacken. Dieses Wetter hatte allerdings den Tunhovdfjord noch nicht erreicht, wie wir feststellen mussten, als sich unser den Stadtverkehr gewöhntes Auto mühsam durch Matsch und Schnee die Einfahrt hinauf kämpfte. Auf Natten Gård war es an diesem Abend kalt und nass, weshalb wir uns sehr über das Kaminfeuer freuten, das in der Küche des massiven Holzhauses brannte. Dort wurden wir von Marie, Nils und Hofhündin Milli begrüßt und konnten uns gleich an einem norwegischen Gespräch versuchen. Wir hatten nämlich beschlossen, so weit wie möglich ohne Englisch auskommen zu wollen, was für Marie und Nils fast genauso ungewohnt war wie für uns. Die meisten WWOOFer sprechen nämlich kein Norwegisch.

Schon zwei Tage nach unserer Ankunft wurden wir, was die Arbeit auf dem Hof anging, ins kalte Wasser geworfen: die Familie nutzte nämlich die Gelegenheit, den Nationalfeiertag am 17. Mai ausnahmsweise bei Verwandten in Drammen bei Oslo zu begehen, während wir auf den Hof achtgaben. Zu diesem Zeitpunkt lebten 17 Schafe mit ca. 30 Lämmern, ein Schafbock, ca. 15 Ziegen und vier Pferde auf dem Hof. Einen Monat später kamen noch fünf Schweine dazu. Die Tiere sollten viermal pro Tag gefüttert werden, zusätzlich gab es einiges auszumisten und aufzuräumen.

Tiere auf Natten Gård:

en sau – ein Schaf

et lam – ein Lamm

en/ei geit – eine Ziege

en (fjord)hest – ein (Fjord)Pferd

en gris – ein Schwein

en hund – ein Hund

17. Mai – neue Bekanntschaften

 Als die Familie am Morgen des 17. Mai eigentlich schon so gut wie weg war, steckte Nils noch einmal den Kopf durch die Tür und erteilte uns eine besonders wichtige Aufgabe, wie er sagte. Wir sollten die norwegische Flagge hissen, denn der Nationalfeiertag ist in Norwegen ein „flaggdag“ (Flaggentag). Besagte Flagge stellte sich als riesig heraus und sollte an einem entsprechend hohen Mast auf der Terrasse hochgezogen werden. Weder mein Freund noch ich hatten bis dahin eine Flagge gehisst, geschweige denn eine so große. Wir bekamen eine kurze Einweisung von Nils – das sei ganz einfach, sagte er – und wagten uns nach dem Frühstück in den kalten Wind hinaus, um die wichtigste Aufgabe des Tages gleich zu erledigen. Alles lief nach Plan, bis die Flagge sich auf halber Höhe verhakte und sich weder nach oben noch nach unten bewegen ließ. Auf Halbmast konnte sie nicht bleiben, da waren wir uns einig. Also rief ich (nach nicht einmal einer halben Stunde allein auf dem Hof) Nils an und schilderte das Problem, während mein Freund frierend die im Wind schlagende Flagge zu bändigen versuchte. Nils schickte uns zu Maries Eltern, die in einem Haus weiter oben auf dem Gelände des Hofes wohnten.

So lernten wir Tuva und Knut kennen. Tuvas Bein war nach einer Operation eingegipst und Knut konnte wegen seiner Hüftschmerzen schwer laufen, was die beiden aber nicht daran hinderte, uns herzlich mit „Gratulerer med dagen!“ – „Alles Gute (zum Nationalfeiertag)!“ – zu begrüßen und an den festlich gedeckten Frühstückstisch einzuladen. Dass wir Norwegisch konnten, brach sofort das Eis und sorgte für einige Begeisterung. Die Flagge bekamen wir allerdings auch mit der Hilfe der beiden nicht gehisst, obwohl wir auf Tische kletterten, mit Stöcken nach dem Seil angelten und uns sogar von Knut in einer Baggerschaufel am Fahnenmast hinaufheben ließen. Dafür hatten wir aber eine Menge Spaß und legten den Grundstein für eine neue Freundschaft.

Was man am 17. Mai macht:

å heise flagget – die Flagge hissen

å gå i tog – in einem Umzug mitlaufen

å spise sammen – zusammen essen

å se på TV – fernsehen (denn der Norwegische Sender NRK zeigt den ganzen Tag lang Berichte über die Feierlichkeiten)

Mai auf Natten Gård - Schnee, Eis und Ersatzflaggen

Alltägliches und Besonderes

Das Motto „learning by doing“ zog sich durch unseren gesamten WWOOF-Aufenthalt. Obwohl wir vorher noch nie mit Schafen zu tun gehabt hatten, kümmerten wir uns von Anfang an so gut wie allein um die 17 Mutterschafe und besonders deren Lämmer. Vom Flasche-geben über Verletzungen und Krankheiten bis hin zu einer verspäteten Geburt bekamen wir alles mit, was im Schafstall vor sich ging. Als es endlich auch am Tunhovdfjord wärmer wurde, das Gras genügend gewachsen war und wir alle Zäune kontrolliert hatten, durften die Schafe zunächst auf die eingezäunte Weide und später frei in den Wald und auf die Berge in der Umgebung. Hatten wir anfangs von früh bis spät im Stall gestanden, wurde die Arbeit nun weniger. Es gab trotzdem immer etwas zu tun: wir spalteten Holz für den Winter, räumten auf, halfen im Haushalt und bauten einen Zaun neu auf. Zudem halfen wir Tuva in ihrem Gemüsegarten, den sie wegen des verletzten Beines nur schwer selbst bewirtschaften konnte.

Mich freute besonders, dass wir mit fünf eigenen Fjordpferden auf die Jarlsbergutstillingen, eine Pferdezuchtschau auf der Trabrennbahn Jarlsberg, fuhren und die Pferde dort erfolgreich vorstellten. Auch auf diesem Ausflug waren unsere Norwegischkenntnisse der perfekte Eisbrecher.

Pferde-Wortschatz:

en grime – ein Halfter

et hodelag – eine Trense

en sadel – ein Sattel

å ri – reiten

et føll – ein Fohlen

en hingst – ein Hengst

Fjordpferd Luna bei der Arbeit
Im Elchgehege von Langedrag Naturpark

Tierbekanntschaften

Ein weiterer Höhepunkt unserer Reise waren die Besuche im nahegelegenen Langedrag Naturpark. Tuva ist dort Geschäftsführerin, und auch Marie und Nils arbeiten im Park, weshalb wir immer wieder die Gelegenheit bekamen, auch dort hinter die Kulissen zu blicken. In Langedrag gibt es neben Ziegen, Hühnern, Kaninchen und Fjordpferden auch Elche, Luchse, Wölfe und andere in Norwegen heimische Wildtiere, die wir hautnah erleben konnten. Noch einmal hatten wir besonderes Glück, denn kaum eine Woche nach unserer Ankunft auf Natten Gård wurden in Langedrag drei Wolfswelpen geboren. Einer der Welpen, der später Nare getauft wurde, hatte eine Wunde am Bauch und musste deshalb aus dem Wolfsgehege herausgenommen, medizinisch versorgt und von Hand aufgezogen werden. Tuva und Marie nahmen uns oft nach Langedrag mit, sodass wir auch mit dem kleinen Wolf persönliche Bekanntschaft schließen durften.

Tiere in Langedrag:

et reinsdyr – ein Rentier

en elg – ein Elch

ei/en gaupe – ein Luchs

en ulv – ein Wolf

en valp – ein Welpe

en rev – ein Fuchs

Unser unumstrittenes Lieblingstier ist und bleibt aber ein Lamm, dass wir auf Natten Gård mit der Flasche aufzogen. Der kleine „Lillevenn“ (norwegisches Kosewort, wörtlich „kleiner Freund“) war etwas langsamer und kränklicher als die anderen Lämmer und wuchs nicht so schnell, weshalb er nicht mit dem Rest der Schafherde frei herumziehen durfte. Stattdessen blieb er mit uns auf dem Gelände des Hofes und lief uns bald überall hin hinterher.

Heimreise

Ende Juli stand der letzte Höhepunkt unserer Reise an: es gab ein großes Sommerfest auf Natten Gård, das mit dem Mittelalterfest in Langedrag zusammenfiel und gleichzeitig unser Abschiedsfest wurde. Zusammen mit unseren „Nachfolgern“, den beiden französischen WWOOFern Yael und Laetitia, halfen wir mit, die große Scheune von einem Futter- und Gerümpellager in einen festlich geschmückten Veranstaltungsort zu verwandeln. Als dann die Gäste eintrafen wurde unser mittlerweile geübtes Norwegisch noch einmal auf die Probe gestellt, denn an diesem Abend gab es verschiedene Dialekte zu hören.

Am nächsten Tag war es dann soweit – wir mussten uns von unserer Gastfamilie, den Tieren und nicht zuletzt der Landschaft um Natten Gård herum verabschieden. Der Abschied fiel allen schwer, denn wir hatten einander über die lange Zeit liebgewonnen. Doch mein Freund und ich hatten noch einen weiten Weg vor uns – wir wollten erst zwei Tage in Bergen verbringen, dann mit der Fähre nach Stavanger fahren, von dort aus weiter nach Oslo und über Kopenhagen nach Hause. Wir ließen uns also von Tuva die szenischste Route nach Bergen beschreiben und fuhren mit vielen lieben Abschiedsgeschenken im Gepäck los.

Aussicht von Natten Gård am Morgen unserer Abreise

Fazit

 Alles in allem hatten wir eine wirklich tolle Zeit in Norwegen. Wir sind froh, dass wir uns für einen längeren Aufenthalt entschieden haben, denn so wurden wir nach und nach nicht nur Gäste, sondern Freunde unserer Gastfamilie und fühlten uns in Norwegen richtig zuhause. Dabei half auch, dass wir schon Norwegisch gelernt hatten – natürlich kommt man in Norwegen auch mit Englisch durch, aber mit den Kindern unserer Gastfamilie konnten wir uns so viel besser unterhalten. Norwegisch zu sprechen, war für uns oft der perfekte Eisbrecher.

Wer längere Zeit in Norwegen verbringen möchte, sollte also meiner Meinung nach zumindest einen Anfängerkurs gemacht haben. So ist es leichter, mit Einheimischen in Kontakt zu kommen und Freundschaften zu schließen.

Bilder: privat