Skandinavische Sprachen

Die skandinavischen Länder sind unsere nächsten Nachbarn im Norden. Seit Hunderten von Jahren existieren wirtschaftliche, kulturelle und auch sprachliche Brücken zwischen dem Norden und dem deutschsprachigen Gebiet.

Verwandtschaft mit dem Deutschen

Bei Reisen in den Norden stellt man oft schnell fest, dass sich manches, was man liest, ganz gut verstehen lässt. Das ist kein Zufall! Deutsch und die skandinavischen Sprachen sind nämlich eng miteinander verwandt. Alle gehören zu den germanischen Sprachen innerhalb der indoeuropäischen Familie, wie auch Englisch oder Holländisch. 

Zu Beginn unserer Zeitrechnung geht man noch von einer gemeinsamen germanischen Ursprache aus, doch in den ersten Jahrhunderten nach Christus gabelt sich diese in Nord-, Süd- und Ostgermanisch – es prägen sich also Dialekte aus, die langsam zu eigenen neuen Sprachen werden. 

Während heutiges Deutsch, Englisch und Niederländisch zur Untergruppe des Westgermanischen gehören, also ihrerseits sehr nah verwandt sind, ist das Ostgermanische mit dem Gotischen längst ausgestorben; und aus dem Nordgermanischen sind die modernen Sprachen Schwedisch, Dänisch, Isländisch, Färöisch und Norwegisch (Bokmål und Nynorsk) hervorgegangen. Während man also Niederländisch und Deutsch als „Schwestern“ bezeichnen würde, wären Deutsch und Schwedisch demnach „Cousinen“.

Die nordgermanischen Sprachen

Das Nordgermanische spaltete sich wohl im 2. Jahrhundert vom restlichen Germanischen ab und etablierte sich langsam über das klassische Urnordische (ca. 200-500) als gemeinskandinavische Ursprache. Während der späturnordischen Phase (500-750) bildeten sich zwei große Dialektgruppen aus, die wir als Ost- und Westnordisch bezeichnen (heute auch Insel- und Festlandnordisch genannt).

Im westlichen Teil Skandinaviens etablierte sich im Anschluss das gut überlieferte Altwestnordisch (das in den Sagas, der Edda-Dichtung und der Skaldik verwendet wurde) und verbreitete sich über ganz Norwegen und die neu besiedelten Gebiete im Atlantik, wie die Färöer, Island, Grönland, die Shetlands und die Hebriden.

Nach und nach bildeten sich hier aus Dialekten die Frühformen der heute noch verwendeten Sprachen Isländisch, Färöisch, Bokmål und Nynorsk, während das Norn auf den Shetlands und den Orkneys ausgestorben ist. Spätestens mit dem Ende des Altnordischen um 1350 können wir von diesen Einzelsprachen sprechen.

Während sich das Isländische und das Färöische bis heute – bezüglich Satzbau, Flexion und Wortbildung – wenig veränderten und hauptsächlich beim Wortschatz und der Aussprache Veränderungen erfuhren, waren die Veränderungen auf dem Kontinent wesentlich nachhaltiger.

Norwegisch

In Norwegen neigte die Sprache dazu, sich sehr stark zu vereinfachen. Nicht zuletzt die schon nah verwandte Kolonialsprache Dänisch trug intensiv dazu bei, dass mit dem Bokmål eine Sprache entstand, die starke dänische Züge trägt. Die Aussprache änderte sich stark, besonders bei den Vokalen (z. B. wird o heute wie u und u wie ü gesprochen). Andere Laute verschwanden (ð und Þ), die Flexion vereinfachte sich stark (Fälle verschwinden, Verbkonjugation nach Person und Zahl wird vereinheitlicht usw.), die Wortbildung nahm neue Züge an und der Satzbau passte sich der vereinfachten Konjugation an. Am stärksten war aber der Wortschatz betroffen, denn die norwegischen Sprachen nahmen Einflüsse anderer Sprachen auf, mit denen sie in Kontakt kamen.

Im Zuge der nationalen Souveränitätsbestrebungen kam im frühen 19. Jahrhundert in Norwegen der Wunsch auf, sich sprachlich vom dänischen Einfluss zu befreien und auf Basis wenig beeinflusster ursprünglicher Dialekte etwas Eigenes zu schaffen. Durch das Wirken von Ivar Aasen entstand so das Nynorsk, eine gegenüber dem Bokmål ursprünglichere Sprache, die von 20% der Norweger gepflegt wird.

Schwedisch und Dänisch

Im Osten Skandinaviens bildete sich das Altostnordische heraus, dass sich ins Runenschwedische und -dänische aufgabelte. Dazu gesellt sich mit dem Altgutnischen noch die Vorform des Gotländischen, das heute nicht mehr als eigene Sprache existiert und im Schwedischen aufgegangen ist. Seit der Überlieferung in lateinischer Schrift – wobei für den ostnordischen Raum die historische Überlieferung viel dünner ist als für den westnordischen Raum – sprechen wir von älterem und jüngerem Altschwedisch bzw. Altdänisch.

Nach der Reformation und der Übersetzung der Lutherbibel als wichtigem Grundstein entsteht das ältere Neuschwedisch, welches Anfang des 18. Jahrhunderts ins noch verwendete Neuschwedische übergeht. Schwedisch wurde und wird nicht nur in Schweden, sondern auch noch in der alten Kolonie Finnland von 7% der Einwohner als Muttersprache gesprochen und wurde auch in vielen Gebieten des Baltikums verwendet.

Einflüsse anderer Sprachen

Seit der Jahrtausendwende verzeichnete nicht nur das Norwegische, sondern auch das Schwedische und Dänische eine Reihe tiefgreifender Veränderungen. Vielfach sind diese Veränderungen in den Sprachen ähnlich. So wurden viele Wörter aus anderen Sprachen übernommen und mehr oder weniger stark an Sprache und Schrift angepasst (sog. Lehnwörter).

Hauptsächlich kamen solche Wörter durch die christliche Mission aus dem Lateinischen (z. B. klöster, nunna, munk), ab dem Hochmittelalter vornehmlich aus dem Niederdeutschen über die Hansekontakte (förkyld, erfarenhet, kontor). Später kamen viele Begriffe aus dem Hochdeutschen, vorwiegend militärischer Art und ab der Barockzeit auch aus Frankreich (fåtölj, byrå, affisch). Weitere wichtige Einflüsse machen das Niederländische innerhalb der Seefahrtssprache und das Italienische beim Bank- und Kreditwesen aus. Seit dem 20. Jhd. werden vor allem Begriffe aus dem Englischen entlehnt (hamburgare, surfa, top).

Neue Veränderungen

Weiterhin ging der Konjunktiv verloren und die Flexion wurde stark vereinfacht, so dass z. B. bei Substantiven und Adjektiven die Fälle verschwanden und die Geschlechter Maskulin und Feminin zu einem Utrum zusammenfielen. Bei der Verbflexion wurde nicht mehr zwischen Plural und Singular oder einzelnen Peronen unterschieden.
Auch die Aussprache und die Betonung veränderten sich stark. Während im Urnordischen immer die erste Silbe betont wurde, entstand im Schwedischen und weiten Teilen Norwegens ein musikalischer Akzent, der auch andere Betonungen erlaubte und sich heute in einer Reihe komplexer Betonungsgesetze zeigt. Daher meint man auch, dass Schweden und Norweger nicht sprechen, sondern singen. Die Dänen wiederum erhielten auf diesem Wege den Knacklaut „stød“. Weiterhin wurde besonders die Aussprache der Vokale durch eine Kettenverschiebung verändert. Die skandinavischen Vokalzeichen werden also zumeist verändert ausgesprochen (z. B. bok wie buuk).

Ein Schlüssel für viele Schlösser ...

In jedem Fall lässt sich feststellen, dass man sich mit dem Erlernen nur einer skandinavischen Sprache auch die anderen erschließt – zumindest gilt dies für Schwedisch, Norwegisch und Dänisch: Zwar wird man die gesprochene Sprache nicht immer verstehen (so wie es die Skandinavier untereinander tun), aber schriftliche Texte sind in der Regel leicht lesbar!